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Mythos Wind weg

Mythos Wind weg

Im Rahmen unserer beliebten Serie zur Aufklärung von Mythen in der (Segel-)Fliegerei wollen wir uns heute mal dem Thema „Wind“ zuwenden. Und wieder: der LSV als Mythbuster der Sportfliegerei.

War der Wind weg?

Jeder Segelflieger kennt das – nach einer Aussenlandung kommt unweigerlich die Frage eines umstehenden Zuschauers, „naha, war der Wind weg?„. Also heute

Mythos Wind weg

Kann sein, dass der Wind weg war. Kann aber auch nicht sein. Ist auch total Wurst. Mal abgesehen von Ausnahmen, die wir weiter unten ansprechen. Anders als bei einem Segelboot zum Fahren braucht ein Segelflugzeug keinen Wind zum Fliegen.

Mythos Wind weg
Der Vortrieb der Yacht entsteht auf ähnliche Weise, wie der Auftrieb am Flügel.Quelle: Wikimedia

Für ein Segelflugzeug spielt der Wind deshalb keine Rolle, weil es Auftrieb allein gewinnt durch die Strömung am Flügel, die durch Vorwärtsbewegung durch die Luft entsteht. Die um den Flügel strömende Luft erzeugt den Auftrieb, der das Flugzeug davon abhält, wie ein Billy-Regal zur Erde zu stürzen. Das ist aber auch der Grund, warum (leichte) Sportflugzeuge bei längerem Abstellen angepflockt werden. Weht der Wind nämlich heftig von vorn, erzeugt der Flügel genügend Auftrieb und der Flieger hebt ab – meist zum Schrecken des Besitzers.

Gegendwind

Aber wenn der Wind jetzt von vorn kommt, dann bläst’s doch doller! Nein, tut es nicht. Stellt Euch mal vor, das Segelflugzeug flöge in einem gigantischen Aquarium von sagen wir mal 1km x 1km  x 1km Größe. Dieses zieht mit dem Wind mit. Das Flugzeug da drin macht was? Genau – mitziehen! Jetzt lasst die Glaswände vom Aquarium weg und schon habt Ihr in etwa die Realität (Physiker und Maschinenbauer mögen mir diese Vereinfachung nachsehen).

Mythos Wind weg
Schneidet man die Schnur durch, „treibt“ der Drachen weg und fällt herab

Das Ganze ändert sich nur, wenn man das Segelflugzeug mit einem Seil am Boden festmacht. Dann hat man entweder einen sehr großen, teuren Kinderdrachen oder ein an der Winde startendes Segelflugzeug. Hier wirkt der Windvektor natürlich geschwindigkeitssteigernd – das Flugzeug kann ja nicht mit dem Wind mitziehen. Eigengeschwindigkeit und Windvektor addieren sich. Deswegen starten Flugzeuge auch ungern mit dem Wind – man braucht einfach viel mehr Geschwindigkeit (gegenüber dem Boden), um genug Auftrieb zu erzeugen.

Woher kommt die Geschwindigkeit?

Nachdem wir also geklärt hätten, dass der Wind für das reine Fliegen Wurst ist, stellt sich die nicht unerhebliche Frage: woher nimmt das Segelflugzeug die Energie in irgendeine Richtung zu fliegen. Lauft mal in irgendeine Richtung und Ihr merkt: das kostet Kraft. Man braucht Energie. Beim Laufen kommt die aus Euren Fettreserven (hoffentlich).

Beim Segelflugzeug kommt die aus der Höhe. Oder physikalisch gesprochen: aus der potentiellen Energie. Das Segelflugzeug gibt permanent ein wenig potentielle Energie (=Höhe) auf und wandelt die in Vortrieb (=kinetische Energie) um.  Deswegen sinkt ein Segelflugzeug auch permanent. Nur wenn die umgebende Luft schneller steigt, als das Segelflugzeug sinkt (meist sinkt so ein Segler um die 0,5m/s) dann steigt das Segelflugzeug. Es gewinnt neue potentielle Energie, die es wieder in Vortrieb umwandeln kann. Das geht so lange gut, bis keine potentielle Energie mehr da ist – dann ist das Flugzeug am Boden.

Mythos Wind weg
Auf- und Ab beim Streckenflug. Quelle: Wikimedia/Rainer Zenz

Und das erklärt auch, warum Segelflugzeuge irgend eine externe Energie brauchen, um diesen Prozess einmal in Gang zu bringen. In aller Regel nimmt man dafür eine Winde oder ein Flugzeug. Beim Windenstart in Grefrath gewinnt das Segelflugzeug ca. 300m, im Flugzeugschlepp meist um die 600m (mehr geht natürlich, hängt aber vom Wohlstand des Piloten ab). Die sich aus dieser Höhe ergebende potentielle Energie kann der Pilot jetzt nutzen.

Am Besten, um erstmal einen Aufwind zu suchen, um noch mehr potentielle Energie zu gewinnen und danach auf Strecke zu gehen. Streckenflüge im Segelflug sehen daher fast immer aus, wie ein Sägezahn: rauf (in der Thermik), runter (Vorfliegen zum nächsten Aufwind) – den ganzen Tag lang. Von Grefrath aus haben unsere Top Piloten auf diese Weise schon fast 900km an einem Tag (schaut mal auf das „Barogramm“ unten rechts auf der verlinkten Seite, da seht Ihr den Sägezahn) zurückgelegt.

Auf-Wind

Womit wir dann bei einem Punkt wären, wo der Wind doch noch eine Rolle spielt: beim Aufwind. Hier am Niederrhein stellt die Thermik unsere primäre Aufwindquelle dar. Dort aber, wo dem Wind Berge im Weg stehen, wir der Wind oft nach oben über den Berg abgelenkt – wird er seitlich abgelenkt ist der Berg nutzlos für Segelflieger. In diesem nach oben gelenkten Luftstrom kann ein Segelflugzeug auch Höhe gewinnen (z.B. in der Eifel, am Teutoburger Wald oder im Sauerland).

Mythos Wind weg
Die abgelenkte Luft nimmt die Paragleiter mit nach oben.
by Skrinak at English Wikipedia, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=6753312

Optimal sind Hänge, die über eine große Strecke fast quer zum Wind stehen – das ist in NRW z.B. beim Teutoburger Wald bei südwestlichen Winden der Fall. Da jagen die Segler dann quer zum Wind immer dem Hang nach. Bevor unsere Vorväter etwa in der 2. Hälfte der 1920er Jahre die Kraft der Thermik entdeckt haben, war Hangwind die einzige Möglichkeit, ein Segelflugzeug länger in der Luft zu halten. Es gibt darüber hinaus noch eine weitere Aufwindart, die hier im flachen Teil NRWs so gut wie keine Rolle spielt: Lee- oder Atmosphärische Schwerewellen. Im Bergigen (Mittelgebirg, Alpen) hingegen schon.

Also, wenn Ihr das nächste mal einen aussengelandeten Segelflieger trefft, baut Euern Satz um in: „Naha, keinen Auf-Wind mehr gehabt?“. Ihr wisst jetzt, dass der Mythos „Wind weg“ Unsinn ist.